Einsamkeit
Einsamkeit ist spätestens seit der Pandemie in aller Munde. Aber schon vorher wurde das Thema aufgegriffen. So hat die englische Regierung ein Ministerium gegen die Einsamkeit eingerichtet. Einsamkeit scheint eine ungewollte Nebenwirkung der modernen Gesellschaft zu sein.
Unter Einsamkeit versteht man den persönlichen Eindruck sozialer Isolation, der niemals selbst gewählt ist. Einsamkeit bereitet Schmerzen und ist mit Trauer überzogen, während Alleinsein durchaus wohltuend sein kann. In der sogenannten «me-time» (Zeit für mich) wählen wir bewusst die Abgeschiedenheit, um unsere Batterien wieder aufzuladen.
Dem gegenüber macht die Einsamkeit krank. Die gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit sind für manche Forscher mit dem Rauchen von bis zu 15 Zigaretten pro Tag vergleichbar. Einsamkeit bringt also nachweislich ein erhöhtes Sterberisiko mit sich. In der Schweiz nimmt laut Umfragen die Einsamkeit zu. Kannten vor zwanzig Jahren noch über 70 Prozent dieses Gefühl nicht, sind es heute in der Schweiz nur noch knapp 58 Prozent, die angeben, sich nie einsam zu fühlen. Frauen fühlen sich häufiger einsam als Männer. Das Gefühl der Einsamkeit verringert sich mit steigender Einkommenszufriedenheit und Bildung.
Wir tun als Gesellschaft also gut daran, dass wir etwas gegen Einsamkeit machen. Doch so einfach ist es mit der Einsamkeit nicht. Unter Psychologen gilt folgender Spruch: wenn man zehn einsame Menschen in einen Raum tut, dann hat man zehn einsame Menschen in einem Raum.
Einsamkeit ist mehr, als dass man weniger Kontakt zum anderen hat. Deshalb unterscheidet die Psychologie zwischen individueller und objektiver gesellschaftlicher Einsamkeit. Auf der objektiven Ebene bringt es etwas, wenn man Gelegenheiten für den sozialen Austausch schafft. Deshalb ist der Kirchenkaffee genauso wichtig wie der Gottesdienst. (Ohne das eine gegen das andere ausspielen zu wollen)
Auf der individuellen Ebene ist es anspruchsvoller. So wenig wie es einer Person mit Depressionen hilft, zu sagen «denk doch positiv», so wenig hilft es einer Person, die unter Einsamkeit leidet, zu sagen, «geh doch ein wenig unter die Leute». Ich erinnere mich an die Anekdote einer Pfarrkollegin aus dem Kt. Bern, wie sie versuchte, mit einer Frau einen Besuchstermin abzumachen. Das zog sich über Wochen hin, da die Frau so viele Termine hatte. Die Pfarrerin war dann ganz erstaunt zu hören, wie sehr die Frau unter dem Gefühl der Einsamkeit litt.
Einsamkeit hat viele Gesichter. Es hat den Anschein, als wäre die Einsamkeit ein Rumpelstilzchen, das einem auf der Nase herumtanzt. Das sich wie ein mühsamer Mitbewohner bei uns einrichtet. Die Füsse auf den Tisch streckt, auf unsere Kosten immer die neuesten Sachen kauft. Jede Einladung annimmt, jedem Bittsteller Hilfe leistet oder es ok findet, bis tief in die Nacht fernzusehen, statt schlafen zu gehen.
Wie im richtigen Leben sollte man solche Mitbewohner wegschicken. Dazu braucht es manchmal professionelle Hilfe. Manchmal reicht es, wenn wir von alten Vorstellungen Abschied nehmen, die uns isolieren und uns stattdessen auf die Gemeinsamkeiten fokussieren.
Pfarrer Stephan Krauer