Ghosting

Ghostin_refreg_2024_06_28.jpg

Ghosting leitet sich vom engl. Wort «Geist» ab. Darunter versteht man den plötzlichen Kontaktabbruch. Also, wenn sich ­jemand auf einmal ohne Begründung nicht mehr meldet und man so quasi zum Geist gemacht wird.

Der Begriff hat sich vor allem mit dem Onlinedating etabliert. Mit der Fülle der Dating­apps und den steigenden Nutzern, steigen für uns die Möglichkeiten, andere Menschen über das Internet kennenzulernen. Mit der steigenden Anzahl von Kontakten steigt auch der Effort, den man in die Kommunikation stecken muss. Es kann schon einmal überfordern, wenn man fünf oder sechs mögliche Partnerinnen oder Partner gleichzeitig mit Nachrichten bedienen muss. Eine gängige Methode ist dann, dass man jemanden einfach fallen lässt, wie eine heisse Kartoffel. Man meldet sich einfach nicht mehr, ohne Begründung.

Doch Ghosting gab es bereits vor dem Internetzeitalter. Im plötzlichen Kontaktabbruch steckt noch viel mehr dahinter, als einfach zu wenig Zeit, um Nachrichten zu schreiben. Sich selbst zum Geist zu machen, kann auch Familien oder Freundschaften betreffen. Wenn langjährige Freundschaften abrupt abgebrochen werden, ohne dass man sich offensichtlich auseinandergelebt hat, dann hat das auch etwas Unheimliches. Wenn Beziehung zu Familienmitgliedern plötzlich beendet werden, dann ist Ghosting besonders schmerzhaft für diejenigen, die keine Nachricht mehr erhalten.

Es ist aber zu kurz gegriffen, der Person, die sich nicht mehr meldet, alleine die Schuld zuzuschieben. Menschen, die andere ghosten, können oft selbst nicht genau sagen, warum sie das tun. Oft spielt auch Scham und Überforderung eine Rolle. Doch je inniger die Beziehung vorher war, umso mehr haben beide Seiten ihren Anteil am Geschehen, gerade bei symbiotischen Beziehung. Dann liegt im Kontaktabbruch auch eine Entwicklungschance.

In symbiotischen Beziehungen verschmelzen zwei Personen. Das können nicht nur Liebes­beziehungen sein. Das können auch Elternkindbeziehungen sein oder Freundschaften. Freundschaften, bei denen man sich seit der Primarschule kennt und gemeinsam durch dick und dünn gegangen ist; beste Freundinnen oder beste Freunde eben.

Die symbiotische Beziehung zeichnet sich durch ein gemeinsames Verschmelzen aus. Das ist etwas sehr Schönes. Doch die symbiotische Beziehung hat immer auch eine Kehrseite. Mit der Verschmelzung droht immer auch die Gefahr, dass man sich verliert und das Ich sich auflöst.

Das «Ich» kann sich dann nicht entwickeln. Das hat oft damit zu tun, dass wir in alten Zuständen gefangen sind. Man hat nicht gemerkt, dass die jetzige Freundschaft nicht mehr die gleiche sein kann, wie als Teenager. Man hat nicht realisiert, dass die Beziehung zu den erwachsenen Kindern nicht mehr die gleiche sein kann, wie als sie klein waren. Es wurde verpasst, von dem altem Zustand Abschied zu nehmen. Dazu gehört auch, dass wir diesen Abschied betrauern. Darum sind Übergangsrituale wie die Konfir­mation so wichtig.

Durch die Symbiose wird langfristig das Ich bedroht. Weil das «Ich» nicht in der Lage ist, innere Grenzen zu ziehen, wird im Äusseren eine abrupte Grenze gezogen. Und weil die Symbiose ohne Sprache auskommt (wir verstehen uns ohne Worte), kann diese Grenzziehung dem anderen auch nicht erklärt werden. Die Person kann in dem Moment nicht anders handeln.

Der Kontaktabbruch ist eine kurzfristige Rettung des Ichs. Langfristig ist es aber wichtig, dass man die Angelegenheit bereinigt, in dem man darüber spricht. Sonst ist keine Entwicklung möglich. Denn wenn Beziehungen und Kontakte abrupt beendet werden, geistern sie im wahrsten Sinne des Wortes immer um uns herum, sowohl für den Geghosteten und für den Ghoster.

Pfarrer Stephan Krauer

Kontakt

Reformierte Kirchgemeinde Mönchaltorf
Mönchhof 1
8617 Mönchaltorf
Tel058 510 22 58
E-Mailsekretariat@kirchemoenchaltorf.ch

Informationen